Das Kronenchakra:
Tor zur Glückseligkeit
von Shai Tubali
Yoga Aktuell Apr-Mai/2025
Wir neigen dazu, uns die Chakren als Energiezentren vorzustellen, wie Wirbel des Lichts, die sich in verschiedenen Körperbereichen drehen, jedes mit seiner eigenen Funktion, seiner eigenen Farbe und seinem eigenen Charakter. Aber das Kronenchakra, auf Sanskrit bekannt als Sahasrara, ist sowohl ein Chakra als auch etwas jenseits der Chakren. Es liegt an der Grenze zwischen dem uns bekannten Selbst – Geist, Körper und persönliche Identität – und dem weiten, grenzenlosen Universum.
Während die anderen Chakren Aspekte unserer menschlichen Erfahrung regulieren – unsere Emotionen, Kreativität, Kraft, Liebe, Stimme und Intuition -, ist das Kronenchakra der große Auflöser von Grenzen. Es fragt: Wo endest du, und wo beginnt das Universum? Gibt es wirklich eine Trennung, oder ist diese Unterscheidung der größte Witz der Existenz?
Wenn sich das Kronenchakra öffnet, ist es die Brücke zwischen dem Individuum und dem Unendlichen. Es geht nicht nur um Wissen und Einsicht – es geht um direkte Erfahrung. Und diese Erfahrung wird am besten mit Glückseligkeit beschrieben.
Ein Helm oder ein offener Himmel?
Stell dir vor, einen Helm zu tragen, der deinen Kopf vollkommen umschließt. Er hält dich innen gefangen, deine Gedanken sind darin eingeschlossen, deine Selbstidentität ist in ihren gewohnten Grenzen fest umschlossen. Dies geschieht, wenn das Kronenchakra geschlossen ist – es fungiert als ein energetischer Deckel, der dich von allem jenseits von dir trennt.
Das Universum bleibt „da draußen“, und du bleibst „hier drinnen“, für immer nach ihm greifend, aber nie mit ihm verschmelzend.
Aber was geschieht, wenn dieser Helm entfernt wird? Auf einmal ist da kein Innen und Außen mehr. Du bist keine getrennte Einheit mehr, die raus in den Kosmos schaut – du bist der Kosmos, und der Kosmos ist du. Die Grenze war nicht real, sie war nur ein mentales Konstrukt.
In diesem Zustand verschmilzt das Erleben von „Ich bin“ in ein „Da ist“. Und was strömt durch diese Öffnung? Glückseligkeit.
Nicht die flüchtige Freude äußerer Vergnügen, nicht der Nervenkitzel von Leistung oder Anerkennung, sondern eine tiefe, alles durchdringende Glückseligkeit, die aus dem reinen Sein aufsteigt.
Glückseligkeit als die Signatur der Realität
Alte Lehren beschreiben die ultimative Realität als Sat-Chit-Ananda:
- Sat – absolutes Sein
- Chit – reines Gewahrsein
- Ananda – Glückseligkeit
Diese drei treten gemeinsam auf. Wenn du die absolute Realität und reines Gewahrsein erlebst, wirst du auch Glückseligkeit erleben. Das ist kein Zusatz und keine Belohnung – es ist die grundlegende Natur der Existenz, wenn sie klar gesehen wird.
Diese Glückseligkeit unterscheidet sich von gewöhnlichem Glücklichsein. Das Sakralchakra zum Beispiel erfreut sich sinnlicher Freude – sie erfreut sich am Geschmack einer reifen Frucht, am Genuss von Musik, an der Wärme der Umarmung eines geliebten Menschen.
Das Kronenchakra hingegen ist die Freude der Loslösung. Es ist die Freude, nichts mehr zu brauchen, nichts mehr zu suchen. Es ist ein Glücklichsein ohne Grund, das von äußeren Umständen nicht erschüttert werden kann.
Wenn die Meditation zu Glückseligkeit wird
Meditierende sprechen oft von Zuständen der Neutralität, Stille oder Leerheit. Aber wenn der Meditation Glückseligkeit fehlt, ist sie unvollständig. Neutralität ohne Glückseligkeit ist wie einen Ozean zu beobachten, ohne jemals darin einzutauchen.
Tantrische Traditionen heben große Glückseligkeit als den Eingang zur Realität hervor, nicht nur als ein Nebenprodukt davon. Sie unterscheiden zwischen gewöhnlichem Samadhi – ein friedlicher, aber neutraler Zustand – und der lebendigen, leuchtenden Glückseligkeit eines voll geöffneten Kronenchakras. Lama Yeshe, ein berühmter tibetischer Lehrer, nannte dies die „echte Schokolade“ – den tiefen, köstlichen Geschmack des wahren Erwachens.
Warum ist Glückseligkeit so zentral?
Sie ist die Art und Weise, in der das Universum seine Präsenz bestätigt. Wenn deine Meditation nur von Stille und Losgelöstheit erfüllt ist, dann fehlt etwas. Wenn das Göttliche sich durch dich erkennt, dann entsteht Glückseligkeit als seine natürliche Signatur.
Sie ist der Wegweiser des spirituellen Weges. Glückseligkeit ist nicht nur ein zufälliges Gefühl – sie zeigt, dass du in die richtige Richtung gehst, so wie Sterne am Nachthimmel Reisenden den Weg weisen können.
Sie löst das kleine Selbst auf. Das getrennte Selbst kann nicht allzu viel Glück enthalten; es beginnt in der Gegenwart überwältigender Freude zu verblassen. Darum fühlt sich tiefe Glückseligkeit wie Hingabe an – es ist das Selbst, das sich in seine Quelle hinein auflöst.
Die vier Dimensionen der Glückseligkeit
Glückseligkeit wird häufig mit einer Emotion verwechselt, ist aber sehr viel mehr als das. Sie ist eine vielschichtige Erfahrung, die jeden Aspekt deines Wesens berührt.
- Glückseligkeit als energetisches Phänomen
Vor allem ist Glückseligkeit eine körperliche Erfahrung. Dies ist der Fluss von Kundalini durch den zentralen Kanal, der hoch zur Krone steigt. Wenn er den Scheitel erreicht, verändert er sich in eine ekstatische Empfindung – manchmal eine kühle, plätschernde Energie, manchmal ein feuriger, elektrischer Strom.
Deshalb wird Glückseligkeit häufig als orgasmisch beschrieben. Nicht im sexuellen Sinne, sondern im Sinne einer vollkommenen Freisetzung. Die Energie, die einst in persönlichem Begehren gefangen war, überflutet nun das Gehirn und löst Anspannung, Angst und Trennung auf.
- Glückseligkeit als emotionales Phänomen
Eines der größten Hindernisse für Glückseligkeit ist, dass wir uns nicht erlauben, sie zu fühlen. Wir rationieren das Glück, als wenn zu viel Freude gefährlich wäre. Der Verstand warnt uns: „Wenn ich zu glücklich bin, wird etwas Schlimmes geschehen.“
„Das wird nicht von Dauer sein, also halte ich nicht daran fest.“ „Die Leute werden mich für dumm halten, wenn ich grundlos lächelnd herumlaufe.“
Aber Glückseligkeit ist nicht gefährlich. Sie ist weder flüchtig, noch macht sie dich dumm. Tatsächlich ist sie das einzige Glück, das nicht von Umständen abhängt. Je mehr du dich in sie hinein entspannst, desto mehr wird sie zu deinem natürlichen Zustand.
- Glückseligkeit als mentales Phänomen
Glückseligkeit und Weisheit gehen Hand in Hand. In tantrischen Traditionen beten Praktizierende für „die Weisheit von Glückseligkeit und Leerheit.“ Das liegt daran, dass Glückseligkeit nicht nur ein angenehmes Gefühl ist – sie ist Ausdruck tiefen Wissens. Und wenn du Glückseligkeit erlebst, kennst du die Realität. Und wenn du die Realität kennst, erlebst du Glückseligkeit. Die beiden sind unzertrennlich.
- Glückseligkeit als spirituelles Phänomen
Letztendlich ist Glückseligkeit das, was geschieht, wenn du aufhörst, auf das Glück zu warten. Die meisten Menschen verbringen ihr Leben damit, darauf zu hoffen, dass das Glück eines Tages eintritt – wenn sie etwas erreichen, wenn sie die richtige Person treffen, wenn die Welt sich endlich nach ihren Wünschen richtet.
Aber Glückseligkeit wartet nicht. Sie ist bereits hier. In dem Moment, in dem du aufhörst, außerhalb von dir selbst nach Glück zu suchen, erscheint Glückseligkeit ganz natürlich.
In diesem Sinn ist das Kronenchakra der ultimative Lehrer. Es offenbart, dass die Suche nach Glück niemals notwendig war.
Die Freude, die du gesucht hast, war immer in dir, geduldig auf den Moment wartend, an dem du dich ihr öffnen würdest.
Lass Glückseligkeit zu
Der größte Fehler beim Meditieren ist, Glückseligkeit zu blockieren. Manche vermeiden sie aus Angst. Andere verwerfen sie als unwichtig, in dem Glauben, dass wahres Erwachen still und losgelöst sein sollte. Aber Glückseligkeit ist der Hinweis dafür, dass du dabei bist, anzukommen.
Wenn du Glückseligkeit zulässt, erlaubst du der Realität selbst, sich zu offenbaren. Und wenn die Realität sich offenbart, kannst du nicht anders, als glückselig zu sein.
Also lass es geschehen. Lass Glückseligkeit dein Wesen füllen. Lass sie das kleine Selbst auflösen, den Helm der Trennung, den Glauben, dass du weniger als das Unendliche bist. Letztlich ist da nur das Universum, und das Universum ist nichts als Glückseligkeit.
Shai Tubali PhD ist Mystiker und Philosoph. Er hat über dreißig Bücher veröffentlicht, die in zwölf Sprachen übersetzt wurden. Seit dem Jahr 2000 hat er in internationalen Workshops tausende von Menschen dazu inspiriert, die Kräfte des Bewusstseins zu aktivieren.
Er unterrichtet sowohl traditionelle als auch innovative Techniken, wie seine medizinisch bewährte Expansions-Methode.